Zukunft und Politik

Peter Kurz

Peter Kurz war 16 Jahre Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, zuvor Richter am Verwaltungsgericht in Karlsruhe sowie Bürgermeister für Bildung, Kultur und Sport. Er war Städtetagspräsident in Baden-Württemberg und Gründungsmitglied des Global Parliament of Mayors. 2021 erhielt er den World Mayor International Award. Im August 2024 veröffentlichte er „Gute Politik. Was wir dafür brauchen“ bei S. Fischer.

In der politischen Rhetorik der jüngeren Vergangenheit war Zukunft ein fast ausschließlich positiv besetzter Zentralbegriff. Keine Kampagne kam ohne „Zukunft“ aus.

Dabei dominierte jahrzehntelang die Überzeugung, dass gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und – nachdem wir beginnend mit den 60er-/70er-Jahren die Umwelt als Thema wahrgenommen hatten – sogar ökologischer Fortschritt eine natürliche Entwicklung sei. Zu diskutieren waren scheinbar eher graduelle Richtungsentscheidungen und die Geschwindigkeit des Fortschritts. Selbst als vor weit mehr als 25 Jahren ein Parteitag das Motto trug „Zukunft kommt von selbst – Fortschritt nur mit uns“, war damit nicht gemeint, dass es Rückschritt oder keine gestaltbare Zukunft im Rahmen des Gewohnten mehr geben könnte. Heute ist das anders. Die scheinbar natürliche „Koalition“ aus Aufklärung, Demokratie und Wachstum ist zerfallen; in der Folge können wir uns heute die Zukunft nicht mehr automatisch als Fortschritt vorstellen. Im Gegenteil: Die Zukunft als Wiederbelebung der Vergangenheit und die positive Zukunft als Abwehr der Dystopie sind zwei gegenwärtige „Zukunftsmodelle“ im Wettstreit. „We’re not going back“ ist Ausdruck dieses Kampfs und war als Zukunftsentwurf aber erkennbar nicht genug. Und daneben stehen diejenigen, die – nah an Goethes „... denn alles was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht“ – über die Post-Kollaps-Gesellschaft nachdenken.

Wir stellen fest: Lange war „Zukunft“ nicht mehr so kontrovers. Und das führt zu einem interessanten Paradox. Einerseits leben wir in einem Augenblick, in dem wir wirklich gewahr werden, dass unsere Gegenwart in immer höherem Tempo Ressourcen und Optionen der Zukunft verzehrt. Und die Reaktionen darauf reichen von Realitätsverweigerung über Anpassungs- und Überwindungsstrategien bis zur Verzweiflung. Damit pluralisiert der Schock andererseits die Zukünfte. Und die Zukunft als Möglichkeitsraum – auch des Utopischen – wird damit größer, nicht kleiner. Die Zeit, in der die Fortschreibung der Gegenwart die Zukunft beschrieb, ist vorbei. So sind wir stärker gezwungen wahrzunehmen, dass die Zukunft ein offener Raum ist und der einzige Raum, der beeinflusst und gestaltet werden kann. Im Augenblick des Verzehrs der Zukunft stellen wir also fest: So viel Zukunft war nie …

Peter Kurz war 16 Jahre Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, zuvor Richter am Verwaltungsgericht in Karlsruhe sowie Bürgermeister für Bildung, Kultur und Sport. Er war Städtetagspräsident in Baden-Württemberg und Gründungsmitglied des Global Parliament of Mayors. 2021 erhielt er den World Mayor International Award. Im August 2024 veröffentlichte er „Gute Politik. Was wir dafür brauchen“ bei S. Fischer.