Go Future! 25 Gedanken zur Zukunft
Jakob Johannes Koch
Jakob Johannes Koch hat Theologie und Musik (Meisterklasse Dietrich Fischer-Dieskau) studiert und mit einer Arbeit über Kirchenmusik promoviert. Seit 2000 ist er Kulturreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Er initiiert und begleitet mannigfaltige Projekte auf dem Begegnungsfeld von Kultur, Bildung und Religion.
Jede Zukunft wandelt sich eines Tages in gewesene Zeit. Blicke ich auf die gewesenen Zukünfte meines bisherigen Lebens zurück, so geben sie mir Denkimpulse für die Gegenwart und vor allem für die bevorstehende Zukunft. 25 dieser Gedanken möchte ich mit der Leserschaft teilen:
- Das Dauerschleifen-Argument, dass etwas auch schiefgehen kann, ist auf fatale Weise hemmend für eine gelingende Zukunft.
- Die Menschheitsgeschichte beweist es ausnahmslos: Nur Zivilisationen, welche die Kunst der Selbstbeschränkung beherrschen, haben eine Zukunft.
- Was heute Konjunktur hat, kann morgen obsolet sein. Nicht jedes Wort, das im Tagesgeschäft geäußert wird, hat Zukunftsrelevanz. Sich das immer wieder vor Augen zu halten, senkt den Stresspegel.
- Statt Zukunftsversprechen brauchen wir Zukunftsvisionen. Zukunftsvisionen brauchen statt Popularität Plausibilität. Plausibilität braucht Überzeugungsrhetorik statt Bevormundungsrhetorik. Lebenswerte Zukunft braucht gelebte Werte.
- Ein Zukunftsideal vor Augen zu haben, garantiert noch lange nicht, dass man dieses Ideal auch erreichen wird. Zukunftsideale dispensieren nicht von nachhaltig-konkretem Handeln.
- Was wir heute zum Erfolgszwang verdammen, wird morgen dem Erwartungsdruck kaum standhalten können. Gönnen wir unserem Zukunftsherzensprojekt stattdessen sorgfältig gemonitorte Revisionsschleifen, lassen wir ein Trial and Error zu, suchen wir uns Sparringspartner mit Realitätssinn und langem Atem – dann hat unser Projekt eine Zukunftschance.
- Profilierte Spuren hinterlasse ich nur dort, wo ich mit Profil unterwegs bin. Wer sich so profilieren will, dass er oder sie auch noch künftig eine Rolle spielt, sollte sich fragen: Wo möchte und muss ich heute unterwegs sein, damit ich für das Morgen etwas Sinnvolles, Nachhaltiges bewirke?
- Unser Risiko ist es, dass wir von den wirklich bedeutenden Menschen gar keine Kenntnis erlangen, weil sie nicht en vogue sind und keine Zeit auf Selbstdarstellung verschwenden – aber möglicherweise sind sie es, die in Zukunft die Geschichte überdauert haben werden. Wer ein Zukunftsscout sein will, sollte den Menschen jenseits des Mainstreams mit Kompetenzvermutung begegnen.
- Wollen wir eine Zukunft in Freiheit erleben, dann müssen wir in der Gegenwart unablässig die Balance von Freiheit und Freiheitsgrenzen einüben: Einzig die Freiheit des Denkens ist absolut; die Freiheit der Rede und des Handelns kann im geordneten Gefüge menschlichen Zusammenlebens niemals absolut und beliebig sein. Beliebigkeit ist die missratene Tochter der Freiheit. Gerechte Freiheit aber braucht Grundregeln, um ihren Missbrauch einzuschränken. Regeln wiederum bedürfen partizipativer Kontrolle in realer Gewaltenteilung. Und nicht vergessen: Man darf die Regel nicht für die Regelverletzung verantwortlich machen – weder heute noch künftig.
- Die Künste in Bild, Wort, Ton und Performance haben mit der Zukunft erheblich mehr zu tun, als wir ahnen. Sie können Seismogramme dessen sein, was kommen wird und was in uns und in unserer Gesellschaft schon jetzt unmerklich auf die Zukunft hin in Bewegung gerät. Es geht also gar nicht um das Begreifen der Kunst, sondern um die Kunst des Begreifens. Diese Schlüsselkompetenz, um in einer komplexen Zukunft bestehen zu können, erlangen wir in der unvoreingenommenen, neugierigen Begegnung mit den Künsten.
- Eines der Hauptziele zukunftsfähiger Bildung ist die Vermittlung und Erlangung von Alteritäts- und Ambiguitätskompetenz: bei aller Erkenntnis des Anderen das Eigene besser wahrzunehmen, Wandelbares und Unwandelbares unterscheiden zu lernen, andere als andere zu erkennen und anzuerkennen, die eigene Existenz in tieferen Gründen festzumachen und Verantwortung für die menschliche Gemeinschaft zu übernehmen, die Bedeutung des Zweckfreien für gelingendes menschliches Miteinander zu entdecken und dem Homo ludens neuen Raum zu geben. Persönlichkeitsbildung ist Zukunftsbildung.
- Disruptive Thinking ist das Zauberwort für Zukunftsfähigkeit. Aber nicht jede Disruption generiert Innovation mit Zukunft. Mag sein, dass Innovationen sich nicht aufhalten lassen – manche perspektivlose Ideen hingegen schon. Man muss sie nicht mit brachialer Disruption durchboxen. Ebenso wenig bedeutet Zukunftsfähigkeit, alle Energie in die Errichtung vollkaskomäßiger Bollwerke gegen jede hypothetische Bedrohung zu stecken. Echte Zukunftsfähigkeit heißt, im Hier und Jetzt eine individuell verantwortbare, für künftige Generationen faire, nachhaltige Position einzunehmen. Und diese individuelle Position kann, ja muss immer wieder auch in Verweigerung bestehen, wenn sich Fortschrittsversprechen nicht nur als unwahr, sondern als inhuman, lebensgefährdend, lebenszerstörend erweisen.
- Wenn sich die Gegenwart ändert, ändert sich auch die Zukunft – positiv wie negativ. Darin steckt ein ethischer Imperativ.
Populismus – ob von Rechten, Linken oder Religionsfundamentalisten – gefährdet die Zukunft unserer freiheitlich-demokratischen Verfasstheit. Die populistische Mischung aus achselzuckender Schludrigkeit, was unsere Rechtsordnung und die Wahrheit des Humanums betrifft, und gegebenenfalls deren Verachtung, wenn es gerade als passend erscheint: Das ist stets der erste Sargnagel der inneren Ordnung eines verfassten Gemeinwesens. - Jeder träumt von einer erfolgreichen Zukunft. „Wer wagt, gewinnt“, heißt es. Wer wagt, kann aber auch scheitern. Er kann scheitern – also „können“ im Sinne einer Fähigkeit. Jemand, der Scheitern nicht als Ehrenrühriges, sondern als potenziell hilfreiche Lektion ansieht, der unterscheidet sich vom Risikofaulen, der das Mithalten im Gleichschritt des Mainstreams als Erfolgsabonnement inszeniert. Wer bescheiden, ohne Larmoyanz und Dramatik, neugierig und kritikfähig gegebenenfalls auch zu scheitern vermag, der erlebt Ent-Täuschung als Hilfe zu Ab-, Aus- und Aufbruch. Scheitern ohne Verbitterung schafft Raum für Zukunft: eine von Täuschung, Konvention und Lauheit befreite Zukunft.
- Was die Zukunft des sozialen Friedens bedroht: dass sich die Diskurspositionen unversöhnlich polarisieren und die jeweils anderen mit moralischen Unterstellungen überziehen. Moralismus war schon immer der Feind der Ethik. Wir müssen aufpassen, dass nicht die kommunikative Form, in der wir zentrale lebensgestalterische Fragen diskutieren, am Ende größere Probleme erzeugt als die diskutierten Sachinhalte an sich.
- Nicht immer taugen die Antworten von früher auf die Fragen von morgen – manchmal aber doch: Deshalb beziehen sich z. B. Umweltschützer heute vielfach darauf, wie vor der Industrialisierung der Landwirtschaft mit der Natur umgegangen wurde. Oder Stadtplaner profitieren davon, wenn sie auf das Urbanitätskonzept der Epochen vor der Eroberung der Stadt durch die Autos zurückblicken. Ein differenzierterer, respektvollerer Blick auf die Kulturgeschichte ist ein wichtiger Baustein für humane Zukunftsgestaltung.
- Die Hoffnung stirbt zuletzt, so heißt es. Aber was kommt eigentlich danach – wenn die Hoffnung gestorben ist?
- Nach „zu viel“ in der Gegenwart kommt „kaputt“ in der Zukunft.
- Wer nicht offen bleibt für Überraschungen und für Fakten, die sein Weltbild durchkreuzen, wer nicht zur Selbstkorrektur willens ist, der verbaut sich seine Zukunftschancen. Wer nicht fragt und hinterfragt, dessen persönliche Zukunft wird schal und leer.
- Jeder Mensch möge seine persönliche Zukunft entwerfen, wie er will; seine mehr oder weniger ausgefallenen Utopien seien akzeptiert und geschützt – aber nur, solange er sich an zivilisierte Umgangsformen und an die freiheitlich-demokratische Grundordnung hält. Nicht mehr und nicht weniger.
- Bezüglich der Zukunft unseres Planeten und der Zukunft der Menschheit darf man nicht einzig und allein die Klimakrise im Blick haben. Wir haben auch eine Biodiversitätskrise, und die hat für die Menschheit genauso gravierende Zukunftsfolgen wie die globale Klimaveränderung. Die Biodiversitätskrise lässt sich mit Technik nur ganz bedingt managen; das Einzige, was hier hilft, ist die kollektive, konkrete Verhaltensänderung weit über die Maßgaben der UN-Biodiversitätskonvention hinaus. Unverzüglich.
- Wie sieht eine humane Zukunft mit KI aus? Wenn wir bei immer mehr Handlungen in blindem Vertrauen mit der „Black Box“ KI kooperieren, dann sind wir vielleicht eines Tages nur noch ausführende Organe. Deshalb: KI ist großartig, aber der ethische Umgang mit KI erfordert Bündnisse transparenten Monitorings und ausgewogener Regulierung. Was uns als Menschen kein Computer je abnehmen kann und darf: Werturteile fällen, Lebensentscheidungen treffen, Verantwortung übernehmen, selbstursprünglich handeln.
- Angst und Aktivismus sind schlechte Ratgeber für Zukunftsgestaltung. Wir müssen gesellschaftspolitisch vom Modus des „Wandels by disaster“ zum „Wandel by design“, also zum zielorientierten Wandel zurückfinden. Aber es ist eine Fiktion, dass die Anpassung an die Anforderungen der Zukunft in einem sozialen Kollektiv autokybernetisch nach Art der (vermeintlichen) Schwarmintelligenz ablaufen; Zukunftsfähigkeit funktioniert nur durch kompetente, vorausschauende politische Führung; umso wichtiger sind dabei die bewährten demokratischen Feedbacksysteme.
- Groß denken, kleiner wird es von ganz alleine.
Als Schuljunge war ich Fan des gesellschaftskritisch-punkigen Slogans „No Future“, der keineswegs nihilistisch gemeint war: Die Zukunft reklamierten wir für uns und den ewiggestrigen Spießern sprachen wir sie ab. Wir glaubten fest an die Utopie, eine humane und gerechte Zukunft sei möglich. Stattdessen müssen die heutigen Kinder und Jugendlichen mit dem Feel-bad-Slogan
„I want you to panic“ aufwachsen. Jugendpsychologen zufolge stürzt das eine ganze Generation in „prätraumatischen Stress“.
Aber nur dann, wenn aus der ängstlichen, hysterischen Zukunftssorge wieder eine kluge, vernünftige, planvolle Zukunftssorge wird, nur dann wird die Zukunft zum Guten hin modulierbar. In diesem Sinne: Go, Future!
Jakob Johannes Koch hat Theologie und Musik (Meisterklasse Dietrich Fischer-Dieskau) studiert und mit einer Arbeit über Kirchenmusik promoviert. Seit 2000 ist er Kulturreferent im Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn. Er initiiert und begleitet mannigfaltige Projekte auf dem Begegnungsfeld von Kultur, Bildung und Religion.