Isabelle Houben: Liebe Pirkko Husemann, Sie sind Referentin für Kultur und Standortentwicklung für die Kulturraum Berlin gGmbH, die die Berliner Kulturszene fördert, indem sie den Bedarf für Kulturräume erhebt, Arbeitsräume an freischaffende Künstler:innen vermittelt und Nutzungskonzepte entwickelt. Was ist an diesem "Berliner Modell" der Kulturraumförderung so besonders?
Pirkko Husemann: Die Kulturraum Berlin gGmbH (KRB) wurde 2020 gegründet und ist operative Trägerin des seit 2016 bestehenden Arbeitsraumprogramms (ARP) des Landes Berlin. In dieser Funktion vermieten wir subventionierte Räume für künstlerische Produktion, also Proberäume, Ateliers, Schreibplätze, Projekträume, auch in Kombination mit Büro- und Lagerflächen. Wir werden von der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt gefördert, Begünstigte dieser Förderung sind freischaffende Künstler:innen aller Sparten. Diese leben und arbeiten häufig unter prekären Bedingungen, weshalb sie sich die herkömmlichen Gewerbemieten auf dem freien Immobilienmarkt nicht leisten können. Zugleich sind sie auf Räume angewiesen, in denen sie ihrer künstlerischen Arbeit nachgehen können, da sie nicht dauerhaft in Institutionen eingebunden sind und je nach Stadium im Prozess unterschiedliche Räume für Konzeption und Realisierung ihrer Vorhaben benötigen.
Das ARP ergänzt also die zahlreichen Förderprogramme für künstlerische Projekte durch die Vergabe bezahlbarer und nutzungsspezifisch ausgebauter Arbeitsräume. Im Falle von drohendem Raumverlust oder anderen Anliegen beraten wir. Unter der Dachmarke Kultur Räume Berlin arbeiten wir eng mit den Interessensverbänden der Freien Szene, dem Atelierbüro im kulturwerk des bbk berlin und dem Raumbüro Freie Szene des Bündnis Freie Szene Berlin e. V. zusammen. Außerdem kooperieren wir mit zwei Berliner Immobiliengesellschaften, der BIM Berliner Immobilienmanagement GmbH und der GSE Gesellschaft für StadtEntwicklung gGmbH, die wir als Dienstleister:innen mit der Bewirtschaftung der Immobilien beauftragen. Die KRB selbst agiert als Generalmieterin, die geeignete Flächen akquiriert, langfristige Mietverträge mit den Eigentümer:innen von privaten und landeseigenen Immobilien abschließt und sich um den Ausbau und die Vergabe der Räume kümmert.
Der Mehrwert dieses Geschäftsmodells ist der Erhalt bzw. die Beschaffung von räumlicher Infrastruktur für künstlerische Produktion in Berlin. Davon profitiert der Kulturstandort Berlin, der angesichts der rasanten Stadtentwicklung wachsendem Veränderungsdruck ausgesetzt ist. Es profitieren freischaffende Künstler:innen, die vor Verdrängung geschützt werden. Die Kulturverwaltung profitiert, weil wir ihnen eine arbeitsaufwändige Förderschiene abnehmen und letztlich profitieren auch die Eigentümer:innen, die mit der KRB eine verlässliche Generalmieterin haben. Dafür bringen wir als Team Expertise in Immobilienwirtschaft, Architektur und Kultur mit. Genau das unterscheidet uns von Zwischennutzungsagenturen, die keinen langfristigen Erhalt von Räumen für Kultur verfolgen oder aber von Fördermodellen, die in der Verwaltung angesiedelt und damit weniger flexibel sind.
Isabelle Houben: Ein großer Mehrwert der KRB ist also die Schnittstelle zwischen den einzelnen Akteur:innen (Freie Szene, Immobilienwirtschaft und Politik). Was, glauben Sie, hat dazu geführt, dass dieses Geschäftsmodell 2020 speziell in Berlin umgesetzt wurde?
Pirkko Husemann: Ich denke, dass hier mehrere Dinge zusammengekommen sind: die langjährige Lobbyarbeit der Freien Szene, ein Bewusstsein dafür, dass Kultur in Berlin ein wichtiger Standortfaktor ist, der kulturpolitische Wille, ein Budget für die Sicherung von Arbeitsräumen für Künstler:innen bereit zu stellen und eine Rechtsform, die es erlaubte, eine relativ schlanke GmbH für diesen Zweck zu gründen. Wir sind Tochter der Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung, die etwa zeitgleich zur Gründung der Kulturraum Berlin gGmbH mit neuen Aufgaben betraut wurde.
Isabelle Houben: Und was macht gute Kulturraumförderung Ihrer Meinung nach aus? Gibt es Erfolgsfaktoren für den Weg dahin?
Pirkko Husemann: Sie muss den besonderen Bedarfen der Künstler:innen entsprechen. Dazu gab es in Berlin mehrere Bedarfserhebungen, anhand derer detailliert ermittelt wurde, wie viele Räume und welche Arten von Räumen pro Sparte fehlen und welche Mieten leistbar sind. Hinzu kommt, dass die Antragstellung möglichst einfach zu bewerkstelligen sein sollte und mit einer individuellen Beratung einhergeht. Dann hilft es enorm, eine Organisation zu haben, die eine Mittlerrolle zwischen Immobilienwirtschaft, Künstler:innen und Kulturverwaltung einnimmt. Das erlaubt es, flexibel zu agieren und Fördermittel effizient einzusetzen. Im Idealfall sollte auch der Zugriff auf geeignete kommunale Immobilien gegeben sein, die keinen erheblichen Sanierungsbedarf aufweisen. Oder ein guter Draht zu privaten Eigentümer:innen, die Kunst und Kultur als Mehrwert für ihr Portfolio betrachten.
Dr. Pirkko Husemann ist Theaterwissenschaftlerin und arbeitete über 20 Jahre lang bundesweit in Institutionen der Freien Szene mit Schwerpunkt in den Darstellenden Künsten. Zuletzt war sie als Vorstand einer gemeinnützigen Stiftung der Immobilienwirtschaft für die Reaktivierung einer denkmalgeschützten Kulturimmobilie in Berlin-Karlshorst zuständig. Sie entwickelte künstlerische Zwischennutzungen von leerstehenden Gebäuden und konzipierte Projekte der urbanen Praxis in Wohnquartieren am Stadtrand. Seit April 2024 ist sie bei der KRB für die Standortentwicklung zuständig, wobei sie ihre Erfahrung mit Betriebskonzepten und Betreibermodellen einbringt.