Lieber Friedrich,
ich freue mich, dass wir uns über die Anforderungen an Führungskräfte in der Kultur austauschen können. Wir hatten ja hier und da Berührungspunkte, wenn Du (und wir) Spitzenpositionen wie Intendanzen, Geschäftsführende Direktor:innen bei Orchestern, Konzerthäusern, Theatern oder Museen besetzt haben. Aber Dein beruflicher Radius reicht viel weiter: Du bist verantwortlich für die Besetzung von Führungspositionen bei der Transformation großer Unternehmen, die weltweit agieren und ganz andere Anforderungen an ihre Manager:innen stellen. Sind diese Anforderungen wirklich grundsätzlich andere? Sind Deine potenziellen Kandidat:innen von anderen Motiven geleitet als vielleicht Kulturmanager:innen? Deine allgemeinen Erfahrungen würden mich interessieren!
Herzliche Grüße
Peter
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Lieber Peter,
ich freue mich sehr über Deine Initiative und unseren Dialog! Wir teilen die Begeisterung, den Kulturinstitutionen und Ihren Führungskräften zur Seite zu stehen. Und Deine Frage danach, ob Kulturmanager:innen sich anderen Anforderungen stellen, anders agieren und vielleicht von anderen Motiven geleitet werden, beschäftigt uns daher beide gleichermaßen.
Die Antwort ist natürlich "ja und nein". Lass mich kurz beim "nein" anfangen:
Die Grundanforderungen an Führungshandeln in komplexen Umfeldern und Entscheidungssituationen sind im Wesentlichen gleich - und unterscheiden sich weder durch die Größe der Organisation (DAX Konzern oder Konzerthaus) noch durch die inhaltliche Ausrichtung (Zahnräder oder Opernaufführungen). Damit meine ich die z.B. die Fähigkeit, einer Organisation Richtung und Halt zu geben, auch wenn vieles nicht planbar ist. Ein eigenes Profil für ein Haus zu entwickeln, das stimmig ist mit dem Ort, dem Publikum, dem eigenen Anspruch und den objektiven Möglichkeiten. Aufgaben und Verantwortungen so zu verteilen, dass die Teammitglieder eigenständig arbeiten können, aber dabei ein zusammenhängendes Ganzes entsteht. Oder die Fähigkeit, mehrere Ziele gleichzeitig zu verfolgen, die sich zwar nicht gegenseitig ausschließen, aber dennoch in Konflikt geraten können - wie künstlerische Exzellenz und Budget-Disziplin. Zuhören können, ohne sich im Gehörten zu verlieren, zur Entwicklung anderer beitragen etc. etc.
Diese sind Bereiche, in denen ein Austausch von Ideen und Führungspraktiken zwischen sehr unterschiedlichen Institutionen, zwischen profitorientierten Unternehmen und den auf die Qualität des Kulturerlebnisses ausgerichteten Kulturinstitutionen sinnvoll ist. In dieser Hinsicht sind Kulturmanager:innen eben auch Manager:innen und wir finden sie mit Recht bei den Baden-Badener Unternehmergesprächen, auf Podien und in Führungskräfte-Trainings.
Auch das alte Klischee, dass Kulturmanager:innen unter dem Konflikt von Kunst und Kommerz leiden, oder dass wir eine Doppelspitze mit einer künstlerischen und einer kaufmännischen Leitung bilden sollten, die dann den Konflikt untereinander austragen, ist nicht mehr aktuell. Viele bewundernswerte Kolleg:innen an der Spitze von Kulturinstitutionen tragen diese "Bürde" mit Leichtigkeit, Eleganz und Humor. Sie entwerfen kreative Programme und haben gleichzeitig auf dem Schirm, wie sich Besuchszahlen entwickeln werden, wie das Verhältnis von Bier- zu Weinkonsum in der Pause aussehen wird und wie sich Programme über das Jahr verteilen müssen, damit alle glücklich sind, die Kenner, die Enthusiasten, die Gelegenheits-Genießer, die neu gewonnen Konzertgäste und der Stadt-Kämmerer.
Und doch ist für Kulturmanager:innen alles anders als für andere Führungskräfte: Sie realisieren ihre Programme und Formate in der Zusammenarbeit zweier Welten, die unterschiedlicher nicht sein können und in die sie hineingewachsen sein müssen, um sie zu verbinden.
Was meine ich damit? Die Welt der Kunst, die Arbeitsweise der Künstler:innen ist von ihrer Natur her disproportional. Exzellenz in der Kunst erfordert einen Einsatz von Lebensenergie, eine Hingabe an die Aufgabe, die jeden Rahmen sprengt - und das spüren und suchen wir als Betrachter:innen und Zuhörer:innen. Lebensjahre für einen einzigartigen Klang in den Goldberg-Variationen, Lebensjahre für die Einzigartigkeit eines gemalten Seerosenteiches, Lebensjahre für eine komplizierte Instrumentaltechnik, um sie uns dann vergessen zu machen, während wir dem musikalischen Ausdruck lauschen.
Die Künstler:innen, die sich dieser Herausforderung stellen und darin leben, sind keine normalen "Mitarbeitende" oder „Geschäftspartner:innen“. Sie wollen es nicht sein und wir wollen sie nicht als solche. Und die/der Kulturmanager:in muss nun in beiden Welten leben - dieser disproportionalen Welt der Kunst und der so notorisch proportionalen Unternehmenswelt. Hier müssen vor allem Aufwand und Ergebnis im Verhältnis stehen, hier gilt die 80/20 Regel, um ausreichende Resultate zu erzielen und aufzuhören, bevor es ineffizient wird.
Das Verbinden dieser Welten, um die Künstler:innen und ihr Publikum an diesem Ort, zu diesem Zeitpunkt und mit diesen Mitteln zusammen zu bringen, ist eine Passion und Herausforderung, die prägt. Ich will nicht sagen, dass es diese Begegnung nirgendwo sonst gibt - in einer Werbeagentur, bei der Leitung eines Forschungsbereiches gibt es Parallelen. Aber Kulturmanager:innen begeistern sich für diese Herausforderung jeden Tag. Nicht umsonst kommen immer noch sehr viele selbst vom Instrument oder der Bühne her. Zum Teil von der professionellen Ausübung, aber oft haben sie auch die Entscheidung schon früher - vor oder im Studium - getroffen. Die Entscheidung, sich der Kunst als Ermöglicher zu verpflichten, als Grenzgänger und Übersetzer zwischen den Welten, aber mit dem klaren Auftrag (und der Selbst-Beauftragung), die Begegnung so zu kuratieren, dass Großes möglich ist - in Qualität und auch Quantität und jeden Abend, jede Saison aufs Neue.
Damit wird auch deutlich - um auf den dritten Teil Deiner Frage zu kommen - dass die Motivation eine besondere ist. Es ist nicht die Motivation der Künstler:innen selbst, auch nicht ein "purpose" im Sinne eines non-for-profit Unternehmens oder einer Stiftung. Es ist die Freude und Passion, sich im Feld der Kunst zu bewegen und Dinge hörbar und sehbar zu machen, die sonst nicht in dieser besonderen und oft auch überraschenden Form ihr Publikum erreichen würden. Und auch ein bisschen die Freude des "Zirkusdirektors", die vielfältigen Kräfte zu bündeln und ins Rampenlicht zu bringen. Aber hier höre ich besser auf, bevor ich mir den Zorn der Kulturmanager:innen zuziehe, die ich bewundere.
Herzliche Grüße
Friedrich
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Lieber Friedrich,
das "Disproportionale" als Arbeitsweise der Kunst ist ein interessanter Aspekt, den ich so noch nicht gesehen habe, gleichwohl ständig erlebe: Wir haben ja im Tagesgeschäft mit Künstler:innen und Kulturmanager:innen zu tun und Deine Definition fasst gut zusammen, in welchem Spagat zwischen Kunst und Administration die Führungskräfte von Kulturinstitutionen agieren müssen. Dabei beobachte ich den Trend, dass die Forderungen der Träger - also meist der Kommunen und Länder - immer stärker das Gespräch mit der administrativen Management-Seite suchen, weniger mit den Vertreter:innen der Künste. Ob das an der Vermittlung von Sicherheit in der Beurteilung von Geschäftsvorfällen oder an der eigenen Welt liegt, in der man sich aufhält und die nicht die Welt der Kunst ist? Ich stelle mal die - vielleicht steile - Hypothese auf, dass wir es in Zukunft an der Spitze von Kulturinstitutionen mehr mit Manager:innen als mit Künstler:innen bzw. Musik-, Theater- oder Kunstwissenschaftler:innen zu tun haben werden und dass unsere Profession, die geeigneten Persönlichkeiten dafür zu finden, etwas "ein-dimensionaler" wird. Einerseits nachvollziehbar (siehe oben), wenn die Träger größere Herausforderungen wie die Sanierung einer Spielstätte oder die organisatorische Neuausrichtung eines Museumsverbunds eher in den Händen von Menschen mit Führungserfahrung in den Bereichen Wirtschaftlichkeit, Recht und Organisation sehen. Andererseits schade, wenn wir in Zukunft auf regieführende Intendanzen oder "disproportionale Künstler:innen", die einer Institution ihr Gesicht geben und sie nachhaltig prägen können, verzichten müssten. Unsere reiche Kulturlandschaft benötigt eigentlich beides - und dann landen wir wieder bei der Doppelspitze ...? Oder bei den Absolvent:innen des Kulturmanagement-Studiums? Laufen wir dann nicht Gefahr, die Vielfalt unserer Kultur quer durch alle Sparten monochromer werden zu lassen?
Keineswegs ratlos, aber offen für neue Aspekte in unserer Diskussion grüßt
Peter
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Lieber Peter,
Deine Überlegungen - und auch berechtigten Sorgen - zur Verschiebung von (inszenierenden) Intendant:innen zu Kulturmanager:innen öffnen in der Tat einen ganzen Raum.
Wenn wir die Entwicklung beeinflussen könnten - als Kultur-Rezipient, als Wählerinnen und vielleicht auch in unserer Profession - auf welche Tendenzen sollten wir achten? Was sollten wir stärken und wovor sollten wir warnen?
Warnen sollten wir vor einer Tendenz, die Du oben erwähnst und die wir gerade in den USA sich beschleunigen sehen: Gremien, die über die Leitung der Kulturinstitutionen entscheiden, werden vor allem mit Führungspersönlichkeiten aus der freien Wirtschaft besetzt, die dann nach Personen suchen, die sie aufgrund ihres "Management-Profils" einordnen können. Dabei sind die Entscheider:innen nicht selbst-reflektiert genug, um die Grenze ihres eigenen Einschätzungsvermögens der künstlerischen Aufgabenstellung zu kennen oder entsprechenden Rat von Expert:innen zu suchen. Dann entsteht eine Dynamik, in der der Erfolg einer Kulturinstitution nicht mehr definiert wird durch das künstlerische Profil, sondern im schlimmsten Fall der Privat-Geschmack einzelner (finanziell) einflussreicher Individuen "hineingemanaged" wird. Da sind die Entscheidungsstrukturen in Europa an vielen Stellen heute noch robuster und weiterhin von einem echten Ringen um die Fortschreibung künstlerischer Exzellenz getrieben - auch wenn das nicht immer ein konfliktfreier Prozess ist.
Lass uns aber erst einmal davon ausgehen, dass die Entscheider:innen für die Leitung einer renommierten Kulturinstitution nach der besten Lösung suchen - wer ist es dann?
Historisch hat es bereits mehrere Verschiebungen im Profil der Führungsfigur gegeben. Es gab Zeiten, in denen die Theater von Autoren geleitet wurden (Schikaneder bis hin zu Brecht) und die Festivals von Komponisten (Wagner). Die Verschiebungen gingen hin zum Regisseur, zur Dirigentin und zum Festival-Macher, der selbst aus starker künstlerischer Überzeugung agiert. Diese Personen haben einigen Häusern jeweils für viele Jahre ein einzigartiges Profil gegeben, eine "Handschrift", für die das Publikum oft von weither angereist ist, um sie zu erleben. Dieses Modell hat den Raum geschaffen, ein ganzes Ensemble über Zeit hin weiterzuentwickeln und einzigartig zu machen. Für mich ist es eher der zweite Aspekt, die Entwicklung einzigartiger Ensembles, der ersatzlos verloren geht, da wir uns von diesem Model zunehmend verabschieden. Die künstlerische "Handschrift" hat gelegentlich auch zu lange gedauert und hat Häuser auch wieder verblühen lassen.
Aus meiner Sicht steuern wir auf ein Modell zu, das ich durchaus für erfolgreich halte für die kommenden Jahre: Die temporäre Partnerschaft von Kulturschaffenden und Kultur- Ermöglicher:innen. Wie in meinem ersten Text geschildert, tragen viele Leitungen von Kulturinstitutionen den Konflikt zwischen Schaffen und Ermöglichen in sich - sie haben sich selbst einmal ernsthaft mit einer Künstlerkarriere auseinandergesetzt und dann bewusst den anderen Weg eingeschlagen. Sie wissen, dass sie für die künstlerische Prägung Partner:innen brauchen - die Suche nach dem Chefdirigent, nach der Regie des Hauses ist daher eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Auch die zahlreichen "Artist in Residence" Programme sind Ausdruck dieser Partnerschaften - eben über kürzere Zeitstrecken. Der Kompass, der die Intendanzen bei der Suche nach diesen Künstler-Partner antreibt, ist ihre Langfriststrategie, das "Profil des Hauses". Und dass sich dieses Profil nicht mehr ausschließlich am Künstlerischen orientiert, sondern eben auch am Ort, am Publikum, an der Ermöglichung von Teilhabe und an den finanziellen Möglichkeiten, ist eine Tendenz, die ich für notwendig halte. Notwendig, um die gesellschaftliche Akzeptanz der Kulturförderung auch in der Zukunft abzusichern. Also eine echte win/win-Situation, wenn die Partnerschaften überzeugen und gelingen. Und die "Kulturmanager:innen" der Zukunft sind dann genau die Personen, die dies können. Dafür genügt aber nicht eine reine Management-Qualifikation, die sich unabhängig vom Inhalt definiert. Eine Kulturinstitution ist nicht einfach eine weitere Führungsherausforderung, egal um was es dabei geht.
Und wo kommen dann diese besonderen Persönlichkeiten her, die beide Lebenswelten genug in sich tragen, um die besonderen Partnerschaften zu formen? Ziehen die heutigen Kulturmanagement-Studiengänge die richtigen Profile an oder bieten sie auch eine Plattform, um der echten Auseinandersetzung mit der eigenen Berufung aus dem Weg zu gehen? Werden wir weiterhin die Mehrzahl der Führungsfiguren finden, als Produkte individueller und gewundener Lebenswege, auf denen sie die notwendigen Fähigkeiten angesammelt haben? Eine Frage, die ich gerne an Dich zurückgeben würde.
Herzliche Grüße
Friedrich
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Lieber Friedrich,
du gibst den Ball geschickt zurück und hast dabei völlig recht: Die "besonderen" Kulturmanager, welche Kulturinstitutionen mit Empathie für den künstlerischen Prozess einerseits und gleichzeitig natürlicher Führungsautorität andererseits prägen und leiten können, müssen unter vielen Talenten aktiv gesucht und gefunden werden. "Autorität" verstehe ich im Übrigen als "freiwillige Gefolgschaft", nicht als hierarchisch-dominanten Führungsstil. Ja, aber wo sind sie?
Meine Lösungshypothese dazu lautet: Wir suchen Menschen, die sich für ein künstlerisches Dasein, ein kreatives Berufsbild entschieden haben und sich ihrer möglichen Aussichtslosigkeit auf Erfolg oder auf einen "normalen Broterwerb" dabei bewusst waren. Und die trotz Bedenken (auch aus dem Umfeld) oder trotz existentiellen Ängsten dabeigeblieben sind, ihren Weg weiter zu verfolgen. Die sich ihrem drohenden Scheitern jeden Tag entgegenstemmen und daraus eine positive Energie entwickeln, die andere Menschen anstecken und motivieren kann, Außergewöhnliches zu leisten. Dieses Verständnis für die Möglichkeit des "künstlerischen Scheiterns" ist nach meiner Überzeugung die Kraftquelle, künstlerische Ensembles und administrative Teams zu begeistern, zu überzeugen und auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Wenn dann dazu über die Jahre entwickelte Management-Fähigkeiten dazu kommen, haben wir unser Ideal einer erfolgreichen Kulturmanagerin oder eines erfolgreichen Kulturmanagers.
Finden wir die in den Kulturmanagement-Studiengängen (du weißt, dass ich hier und dort unterrichte)? Ja, wenn die dort Studierenden in ihrer ersten Ausbildung einmal an die Grenze ihrer künstlerischen Existenz gegangen sind und sich nun das Rüstzeug für Management-Kompetenz aneignen. Nein, wenn sie im Kulturmanagement-Studium zwar ihre Orientierung für den beruflichen Lebensweg suchen, aber darüber hinaus nur geringe Leidenschaft oder wenig Interesse an kulturellen Inhalten oder künstlerischen Prozessen entwickeln.
Wir beide bleiben also auf der Suche, oder? Denn so schwarz-weiß wie oben beschrieben ist das reale kulturelle Leben und sind dessen Protagonist:innen dann doch nicht zu entdecken.
Ich danke dir für diesen inspirierenden Austausch zwischen Kollegen, die beide das Gleiche wollen: eine lebendige, ansteckende Kunst- und Kulturlandschaft mit all ihren Überraschungen, Brüchen und mit den tief gehenden Erfahrungen, die uns aus dem Alltag holen.
Herzlich
Peter
Friedrich Kuhn war der Pionier des Transformational-Leadership-Programms bei Egon Zehnder und leitet heute ein global agierendes Expertenteam, das CEOs, Führungsteams und ganze Organisationen branchenübergreifend in umfassenden Transformationsprozessen unterstützt. Als Experte in der Besetzung von Führungspositionen berät er Unternehmen und Organisationen nicht nur bei der Identifikation und Förderung von Spitzentalenten, sondern sorgt auch für deren nahtlose Integration in strategische Führungsteams.
Über ihre berufliche Expertise hinaus verbindet die beiden Autoren eine gemeinsame Leidenschaft für Musik: In ihrem Streichquartett finden sie öfters kreativen Austausch und Inspiration.
