Über „Kulturkampf“ und „faires Sparen“

Ein Briefwechsel zwischen Philippe Bischof, Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, und Meike Schlicht, Partnerin und Geschäftsführerin bei METRUM.


Meike Schlicht: Du bist seit 2017 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Wie gegenwärtig ist für dich das Thema der Einsparzwänge öffentlicher Haushalte und deren Folgen für die Kultur – in dieser Rolle, aber auch allgemein als Akteur in der Kulturszene?

 

Philippe Bischof: Das Thema ist sehr präsent. Wir erleben eine Phase der Kulturpolitik, in zahlreichen Ländern Europas wie auch weltweit, die wir als disruptiv bezeichnen können, nicht nur, was die finanzielle Situation betrifft. Einsparzwänge sind eine wichtige Dimension der aktuellen kulturpolitischen Diskussionen, aber mir machen ideologische und gesellschaftliche Druckbewegungen aus verschiedenen Richtungen beinahe noch mehr Sorgen – denn es gibt klare Zusammenhänge zwischen den beiden Ebenen. Ich will die Wichtigkeit stabiler Budgets in keiner Weise schmälern, aber wir dürfen nicht vergessen, dass es immer wieder Phasen der Budgetbedrohung im öffentlichen Kulturbereich gegeben hat, und dass wir insgesamt in den letzten Jahrzehnten ein enormes Kulturwachstum erlebt haben, global betrachtet. Daher scheint es mir wichtig, das mediale Rauschen hinsichtlich der schlimmsten Befürchtungen klar von den konkreten Entscheidungen hinsichtlich Kürzungen zu unterscheiden und genau zu prüfen, wo es wirklich Kürzungen gibt und in welcher Höhe und Form sie umgesetzt werden. Und dann zu fragen, wer darunter leidet.

Bei genauerem Blick fällt etwa auf, dass in Frankreich vielerorts die regionalen Kulturbudgets massiv gekürzt werden, mit teilweise existentiellen Folgen für die Betroffenen (Institutionen und Kulturschaffende), aber auch auf zentralstaatlicher Ebene heftige Einsparungen erfolgen; darunter leiden etwa die Theater sehr stark (Informationen unter https://www.cartocrise-culture.net/). In Deutschland sind Berlin und Köln bekannt für massive Budgetkürzungsdebatten, während Hamburg gerade deutlich erhöht hat. Bei uns in der Schweiz ist auf nationaler Ebene an zahlreichen Stellen gekürzt worden, zum Teil so einschneidend, dass gewisse Institutionen in ihrer Existenz bedroht sind (https://lecourrier.ch/2025/02/20/culture-le-repli/). Auf kantonaler und kommunaler Ebene scheinen die Budgets vorerst weitgehend gesichert zu sein. Und wenn wir etwa nach Argentinien oder in die USA schauen, dann beobachten wir richtiggehende brutale Kürzungsmethoden, die an die gezielte Zerstörung von Kulturinstitutionen erinnern.

Was bei allen Unterschieden die genannten Vorgänge ausmacht, ist eine selten erlebte Rücksichts- und Konzeptlosigkeit seitens der verantwortlichen Politik bei der Umsetzung der Sparmaßnahmen. Budgetreduktion um 10% oder mehr mit einem Vorlauf von zwei Monaten anzukündigen, ist schlicht eine Existenzgefährdung, denn Subventionen können nicht ohne Weiteres ersetzt werden. Wenn schon gespart werden muss, dann muss zumindest zugleich ein Interesse bestehen, gefährdete kulturelle Infrastruktur, kreative Netzwerke und Personen, vor allem aber auch soziokulturelle Räume und Verbindungen zu schützen. Wir wissen, dass der Kulturbereich gerade in rohstoffarmen Ländern eine bedeutende ökonomische und soziale Wertschöpfung erreicht – ich meine, dass dieses Kapital von der öffentlichen Hand mit großer Sorgfalt behandelt werden muss. Da haben mich in den letzten Monaten zahlreiche Äußerungen und sogenannte Argumentationen von kulturpolitisch Verantwortlichen in ihrer Realitätsferne und mangelnden Sorgfalt sehr schockiert.

Und weil du nach konkreten Erfahrungen meinerseits gefragt hast, vielleicht noch ein Aspekt: Als Institution, die in einer internationalen Co-Finanzierungslogik agiert, stellen wir leider fest, dass sich die globalen Erschütterungen sehr unmittelbar auf Gastspiele von Produktionshäusern, auf Festivalbudgets, auf internationale Ausstellungsprogramme etc. auswirken, was konkret bedeutet, dass selbst sehr erfolgreiche Kunstschaffende massive Einbrüche bei ihren Tourneen und Auslandpräsenzen erfahren, bereits im Jahr 2025.

Fazit: Die finanzielle Lage ist ernst zu nehmen, denn dahinter verbirgt sich eine Art von Kulturkampf (ich mag dieses Wort nicht, aber die Aktualität nötigt fast dazu, es zu verwenden), der die Legitimation einer bestimmten Idee von öffentlich geförderter und öffentlich zugänglicher Kunst und Kultur in Frage stellt. Und dagegen müssten wir wesentlich selbstbewusster, mutiger und strategischer vorgehen als bisher.


Meike Schlicht: Lieber Philippe, vielen Dank für deine Antwort, die ich u. a. mit Blick auf die verschiedenen internationalen Verweise interessant finde. Ich möchte die von dir angesprochene Legitimationskrise und den Begriff des „Kulturkampfs“ aufgreifen. Kannst du noch näher ausführen, was du mit der „bestimmten Idee von öffentlich geförderter und öffentlich zugänglicher Kunst und Kultur“ meinst, die zur Debatte steht?

Und: Was kann getan werden, um der Legitimationskrise zu begegnen? Siehst du hierfür (auch) strukturelle Ansatzpunkte in der Kulturfinanzierung und Kulturförderung? Damit meine ich z. B. die in Deutschland immer wieder geführte Debatte um Kultur als Staatsziel oder auch die Frage, welche Stellen, Instanzen, Gremien über Kulturfinanzierung und -förderung entscheiden.

 

Philippe Bischof: Es gibt diesen etwas überholten, aber doch berührenden Begriff des Kulturbürgertums, mit dem wir gemeinhin die traditionellen Institutionen und Disziplinen verbinden wie Literatur und Literaturhäuser, Musiktheater und Opernhäuser, klassische Musik und Orchester, Sprechtheater und Schauspielhäuser etc. Diese kulturbürgerliche Infrastruktur bildet in Europa immer noch den Kern des öffentlich finanzierten (also subventionierten) Kulturangebots, auch wenn sie sich enorm weiterentwickelt hat, ästhetisch und inhaltlich. Hinzu ist seit den 1980er Jahren die Alternativkultur gekommen, die inzwischen ebenfalls zahlreiche Institutionen in zahlreichen Disziplinen mit staatlicher Finanzierung hervorgebracht hat, wie zeitgenössische Tanzhäuser und Freie Theaterhäuser, Musikclubs für populäre und elektronische Musik, Comicfestivals und Designmuseen etc. All dies ist der Kern öffentlicher Kulturförderung und des subventionierten Kulturangebots zumindest in vielen Teilen Europas.

Seit ich mich erinnere und seit ich im Kulturbereich arbeite, gab es selbst in finanziell angespannten Zeiten einen weitgehenden parteiübergreifenden Konsens, dass dieses Kulturangebot konstituierender Teil einer offenen, demokratischen und vielfältig verfassten Gesellschaft ist, von hohem ethischem und ökonomischem Wert.

Wir stellen leider fest, dass diese Einigung nicht mehr stabil ist, dass mit einer teilweise großen Fakten-Ignoranz und Kaltblütigkeit Entscheidungen getroffen werden, die nur als destruktiv und nicht mehr als kritisch-konstruktiv wahrgenommen werden können – denn Fakten und Untersuchungen belegen regelmäßig die reale und symbolische Bedeutung der öffentlich geförderten Kultur für die Mehrheit der Gesellschaft (neu gerade die Studie der Liz Mohn Stiftung).

In einer solchen Krisensituation ist es zentral, bei uns selbst mit der Frage zu beginnen, was wir falsch gemacht haben, wen wir mit unseren kulturpolitischen Argumenten und Förderangeboten erreichen, und wen nicht, und welche erhofften Wirkungen der geförderten Kulturprojekte ausbleiben, was eine ehrliche Evaluation bedingt. Und uns zu fragen, was müssen wir ändern, was müssen wir neu ausrichten. Ich zitiere da gerne das Modell von Pascal le Brun Frankreich, das für den Contrat de résonance als Subventionsform plädiert. Wir als Förderinstitutionen tragen eine große Verantwortung und sollten uns nicht verstecken hinter den kulturpolitischen Sachzwängen, aber um diese Verantwortung wahrzunehmen und die notwendigen Transformationen anzugehen, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen und nachvollziehbare Zielsetzungen.

Berlin scheint mir da gerade ein Musterbeispiel zu sein für ein politisches Versagen, auf der gesamten Linie, denn weder sind mittelfristige inhaltliche Ziele erkennbar noch überzeugende Ansätze zum Umgang mit den massiven Kürzungen. Die Forderung nach einer Kultur als Staatsziel bzw. einer in der Verfassung festgehaltenen “Kulturgarantie” bedeutet ja erstmal nur, eine grundlegende staatliche Verantwortung für den Kulturbereich festzulegen (was nicht unbedingt bedeutet, dass nie gespart werden würde, aber immerhin, dass verantwortungsbewusst geplant und kommuniziert wird) – in diesem Sinne: Ja, dies kann genau das Ergebnis der anstehenden Debatte in Deutschland sein! Wir möchten eine Politik, die Kultur immer als unerlässlichen Teil des Ganzen mitdenkt, nicht bloß als Möglichkeit staatlicher Politik. Aber diese wichtige Garantie verhindert trotzdem nicht Kürzungen, wie wir gerade in der Schweiz sehen. Was sie aber sicherstellen sollte, ist die Vermeidung von exekutiv-politischem Einfluss auf Programme und Förderentscheidungen. Dies betrifft sowohl die Unterstützung konkreter Projekte wie auch die Erwartungen hinsichtlich konkreter Inhalte. Eine Kulturgarantie als Verfassungselement bedeutet auch, dass Widersprüche, die durch Kunst und Kultur entstehen, ausgehalten und verteidigt werden, innerhalb der gesetzlichen Grenzen natürlich. Kulturgarantie heißt nicht Staatskultur, im Gegenteil.


Meike Schlicht: Lieber Philippe, deinem Plädoyer für die Evaluation von Angeboten und deren Nutzung sowie allgemein für mehr Evidenzbasiertheit kann ich mich anschließen. Das Thema ist einen eigenen Briefwechsel wert! Und gut, dass du als „Faktencheck“ anbringst, dass öffentlich geförderte Kultur mehrheitlich als förderungswürdig angesehen wird.

Abschließend möchte ich noch einmal auf das etwas „schnöde“ Ausgangsthema unseres Gesprächs zurückführen. Wenn in der Kultur gespart werden muss – und du hast ja selbst darauf hingewiesen, dass es solche Zeiten immer wieder mal gab: Was ist dann besonders wichtig?

 

Philippe Bischof: Unser diskursiver Umweg soll keineswegs verhehlen, wie zentral die Finanzierungsfrage für die öffentliche Kulturlandschaft ist – mir war bloß wichtig zu betonen, dass Finanzentscheidungen immer auf bestimmten politischen Ansichten/Haltungen beruhen und dass es letztlich darum geht, gesellschaftlich relevante, künstlerisch außergewöhnliche Angebote zu schaffen! Wo und wie gespart wird, kann immer diskutiert und nach politischen Prioritäten entschieden werden.

Vielleicht ist es hilfreich, eine Unterscheidung zwischen notwendigen Budgetanpassungen und gezielten Kürzungen im Sinne von Struktureingriffen zu treffen. Mit ersteren kann der Kulturbereich meistens umgehen, hat er über die Jahre eine große Resilienz und Anpassungsfähigkeit entwickelt. In diesem Fall braucht es seitens der Politik transparente und frühzeitige Kommunikation und idealerweise einen fairen Planungshorizont; seitens der Institutionen wird dann in der Regel am Programm gespart, an der Vermittlung und an der Kommunikation. Solange die Institutionen in ihrer Substanz erhalten bleiben und ihren Auftrag erfüllen können, lassen sich meist Lösungen finden, wobei ich es persönlich bedauerlich finde, dass diese Momente zu selten dazu genutzt werden, grundlegende transformatorische Fragen bezüglich der eigenen Organisation und Ausrichtung zu stellen. Schwieriger wird es, wenn die Kürzungen derart stark in die Strukturen eingreifen, dass kaum Zeit für strategische Erwägungen und kluge Ausrichtungs-Entscheidungen bleibt. Zumal sich die Politik dann oft in Bedauern übt und keine klaren Aussagen dazu macht, was ihre Erwartung an eine veränderte Institution ist – es wird einfach weitergemacht mit weniger Mitteln; seitens der Institutionen wird verständlicherweise erstmal der Überlebensmodus aktiviert und eine Verteidigungshaltung eingenommen. Wünschenswert wäre aber eine gemeinsame Diskussion zwischen Politik und Kulturszene darüber, was im Einzelfall das kulturpolitische Wirkungsziel ist, und welche Perspektive angestrebt wird. Vergessen wir nicht, dass der Kulturbereich eine Branche ist, in die investiert werden muss und in der geplant werden muss wie in jedem anderen Bereich.

Ganz konkret bedeuten einschneidende Sparmaßnahmen oft, dass die betroffenen Institutionen auf experimentellere Projekte, die weniger Publikum und Drittmittel versprechen, verzichten, dass dadurch die künstlerischen Programme traditioneller und das Publikum bürgerlicher werden. Nichtkommerziell ausgerichtete Kulturinstitutionen sind oft strukturkonservativ und veränderungsresistent, negativ gesagt; positiv gesagt fordern sie zurecht eine solide strukturelle Grundlage jenseits des Wettbewerbs, um ihre Aufträge aus dem Bereich des Kulturerbes, der Sammlungspflege, der alten und neuen Repertoirepflege, der Forschung und Vermittlung, aber gerade auch der Schaffung neuer zeitgenössischer Werke ohne unnötigen Druck leisten zu können.

Eine kluge Sparpolitik nimmt darauf Rücksicht und fordert zugleich perspektivische Neu-Ausrichtung. Sind Kürzungen unumgänglich, so muss die Frage, was mit weniger Mitteln geleistet werden kann, offen gestellt und nicht tabuisiert werden. Auch für Kulturförderung gilt es in Sparzeiten, nicht einfach stillzustehen, sondern selbstkritisch Ausrichtungsfragen und Priorisierungen vorzunehmen.

In unsicheren Zeiten gilt es für die Institutionen, sich regelmäßig selbstkritisch zu befragen und strukturell weiter zu bewegen, um vorbereitet zu sein und um ökonomische Alternativen zu entwickeln. Nun habe ich aber noch gar nicht von den Tausenden von freien Kunstschaffenden und Gruppen gesprochen. Für jene bedeuten Sparmaßnahmen jeglicher Art existentielle Gefährdungen, denn sie sind meist ohne feste Struktur, hangeln sich von Förderprojekt zu Förderprojekt und können die öffentliche Unterstützung nur sehr bedingt durch Drittmittel und Einnahmen ersetzen. Hier gilt es kulturpolitisch, ein System der sozialen Sicherheit anzubieten, das in Notlagen einspringen kann.


Meike Schlicht: Es ist spannend, welche unterschiedlichen Aspekte wir in unserem Gespräch ausgehend vom Einstiegsthema „Einsparungen“ touchiert haben: von Einblicken in deren Auswirkungen national und international über die Legitimationskrise und Aufgaben staatlicher Kulturförderung bis hin zu den Prämissen „fairer“ Einsparungen.

Auch interessant, dass du zuletzt sowohl einen reaktiven als auch eine proaktiven Veränderungsansatz thematisierst. Unter anderem bleibe ich gedanklich an der Frage hängen: Welchen Teil kann die Kultur selbst dazu beitragen, um in Legitimations- und Relevanzdebatten zu bestehen? Auch – oder vielleicht gerade, weil – dies eine offene Frage ist, finde ich, dass sie einen schönen Schlussakzent unseres Briefwechsels bildet. Lieber Philippe, ich bedanke mich sehr herzlich für den anregenden Austausch!


Philippe Bischof ist seit dem 1. November 2017 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, Ende Juni 2025 wird er sein Amt abgeben und als Kulturpolitiker, Strategie-Berater und Dozent arbeiten. Nach Studien in Basel (Jura, Deutsch, Französische Literatur, später Kulturmanagement) begann er seine Laufbahn als Regieassistent am Theater Basel. Anschließend arbeitete er als Regisseur und Dramaturg im In- und Ausland sowohl an Stadttheatern wie auch in der freien Szene. Parallel dazu war er als Jurymitglied in den Bereichen Tanz/Theater für die Senatskanzlei Berlin tätig. Zudem absolvierte er einen Master of Advanced Studies in Kulturmanagement an der Universität Basel. Von 2008 bis 2011 baute er als Geschäftsführer und künstlerischer Leiter das Kulturzentrum Südpol in Luzern auf. Von 2011 bis 2017 war er Leiter der Abteilung Kultur des Kantons Basel-Stadt und von 2016–17 Präsident der Konferenz der kantonalen Kulturbeauftragten (KBK). Regelmäßig ist er als Dozent für Kulturpolitik und Kulturförderung tätig.